Barcelona zeigt mit seinen Superilles vor, wie Städte mehr QUALITÄTSVOLLEN Lebensraum für Bewohner:innen schaffen können. Grundlage DAFÜR ist POLITISCHE Überzeugungskraft, die nicht immer belohnt wird. Stephanie Drlik in Die PRESSE (Beilage Spectrum / Architektur & Design / 17.11.2023)
Wer derzeit Barcelona besucht, bekommt ein anschauliches Bild, was ambitionierte Stadttransformation im 21. Jahrhundert bedeuten kann. Bereits seit einigen Jahren werden in der spanischen Metropole die in Planerkreisen hochgelobten Superilles, international auch Superblocks genannt, umgesetzt. Das Prinzip ist denkbar einfach, aber äußerst wirkungsvoll: Innerhalb der für Barcelona typischen rasterförmigen Bebauungsstruktur schließt man Zufahrtsstraßen für den motorisierten Durchzugsverkehr ganz oder teilweise. So entstehen Straßen und Kreuzungen, die vor allem den Menschen und ihren Bedürfnissen zur Verfügung stehen: Bäume, Grünflächen, neue Sitzgelegenheiten und Spielgeräte – das alles soll die Lebensqualität der Bevölkerung in den Superilles verbessern.
Ausschlaggebend für die Entwicklung der Superblocks waren die zunehmend schlechte Luftqualität und klimawandelbedingte Hitzewellen. Gepaart mit fehlendem Grün- und Bewegungsraum, führte das in manchen Teilen zu massiven Problemen. Eines der ersten Transformationsgebiete war das weitläufige Viertel Eixample. „Der Plan der großflächigen Stadterweiterung Eixample von Alfonso Cerda aus dem 19. Jahrhundert beruht auf einem strengen Rastersystem“, erklärt Jürgen Furchtlehner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Landschaftsarchitektur (ILA) an der Boku Wien. „Auf die ursprünglich vorgesehenen Parkanlagen hat man bei der Umsetzung des Plans verzichtet.“ Stattdessen brauste der immer stärkere Stadtverkehr durch die Straßen des Viertels. Im Jahr 2015 wurde die links-grüne Politikerin Ada Colau mit dem Wahlversprechen „Lasst uns die Straßen mit Leben füllen!“ Bürgermeisterin und versuchte mit der Einführung der Superilles mehrere Probleme in den Griff zu bekommen: Verkehr, Gesundheit, Soziales und Klima.
„Kiezblocks“ in Berlin, „Supergrätzl“ in Wien
„Das ursprüngliche Konzept der Maßnahme umfasst ein Raster von drei mal drei Baublöcken mit reduziertem Pkw-Durchzugsverkehr“, weiß Furchtlehner, der sich mit seinem Team am ILA bereits seit einigen Jahren dem Thema der nutzungserweiterten Straßenräume widmet und unlängst mit Studierenden Barcelona besuchte. „Im Inneren der verkehrsberuhigten Blocks werden über 80 Prozent des Kfz-Verkehrs reduziert. Die oft befürchtete Verlagerung auf umliegende Straßen fällt moderat aus, denn das Verkehrsaufkommen verringert sich durch die Attraktivierung der Quartiere. Der Superblock schafft mehr Platz für Begrünung und Erholung, Sport oder Spiel.“
Die anfangs lediglich als temporäre Interventionen angelegten Superblocks werden seither kontinuierlich erweitert und nach und nach dauerhaft in das Stadtbild Barcelonas übernommen. Zudem wird das Konzept mittlerweile auch losgelöst vom ursprünglichen 3 mal 3 Rastersystem angewandt. Diese Aufweichung und Anpassung an lokale Gegebenheiten macht die Übertragung auf andere Städte möglich, die in den wenigsten Fällen im strikten Blockmuster errichtet wurden. In Berlin etwa entstehen derzeit „Kiezblocks“ und Wien hat 2022 im 10. Wiener Gemeindebezirk ein „Supergrätzl“ ins Leben gerufen.
Favoriten ist einer der einkommensschwächsten und am dichtest bebauten Bezirke Wiens. Bewohner:innen sind in Sachen Grünraumgerechtigkeit benachteiligt. Wohl ein entscheidender Grund, warum sich Planungsstadträtin Uli Simma und Bezirksvorsteher Marcus Franz, beide SPÖ, für diesen nicht ganz einfachen Standort zwischen Gudrunstraße, Leebgasse, Quellenstraße und Neilreichgasse als Pilotgebiet für die Umsetzung der Superblock Idee entschieden haben. In einer Testphase wurden die Wünsche der Bewohner.innen einbezogen, unter Federführung des Studio LAUT Landschaftsarchitektur und urbane Transformation. Zusammen mit den Verkehrsplaner:innen von Rosinak & Partner wurde eine neue Verkehrsorganisation eingeführt. Begleitet durch farbliche Bodenmarkierungen und Gehsteigvorziehungen wurden sogenannte Modal- und Diagonalfilter errichtet, die seither die Durchfahrt für Autofahrer:innen, jedoch nicht für Radfahrer*innen, verhindern. Vor der örtlichen Mittelschule Herzgasse wurde eine neue Fußgänger:innen-Zone verordnet. Durch all diese Maßnahmen entstand neuer, für Menschen und zur Klimakühlung nutzbarer Freiraum. Derzeit wird das temporäre Supergrätzl in eine dauerhafte Umsetzung geführt, Grundlage dafür sind die Planungen des Wiener Büros EGKK Landschaftsarchitektur. Neben 62 neuen Baumpflanzungen sehen die Landschaftsarchitekt:innen zahlreiche kleine Grünflächen im Straßenraum und in Kreuzungsbereichen mit unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten vor. Die erste Bauphase soll bereits im Herbst nächsten Jahres abgeschlossen sein.
Die Kritik am Supergrätzl ist erstaunlich verhalten. Das verwundert, schließlich ist die Einschränkung von Autofahrer:innen ein hitziges Thema. Doch die Entlastung der Anrainer*innen überzeugt, dabei nehmen diese das Supergrätzl laut Berichten eher gleichgültig entgegen. Bleibt zu hoffen, dass die Favoritner:innen sich ihre Gelassenheit bewahren können. Denn ein schwerwiegender Kritikpunkt an dem Konzept ist die durchaus realistische Befürchtung, dass die gelungene Stadtraumaufwertung nicht nur die Lebensqualität, sondern auch Immobilienpreise steigen lassen wird. Die Politik ist gefordert sich gegen eine Verdrängung der ansässigen Bevölkerung stark zu machen. Bislang wird dem Erwartbaren wenig entgegengesetzt, es würden die Einflussmöglichkeiten fehlen. So leichtfertig mit einem derart schwerwiegenden Thema umzugehen, ist politisch ungeschickt. Dabei könnte man von Barcelona durchaus mehr als nur gelungene Stadttransformation lernen. Schließlich wurde die Superblock-verantwortliche Bürgermeisterin Colau nach zwei Amtsperioden abgewählt. Das Sagen hat nun der sozialistische Jaume Collboni Cuadrado, der zwar die Superilles schon als Vize-Bürgermeister unterstützt hat, damit jedoch nicht auf Kurs mit seinem konservativen Koalitionspartner liegt. Ob der begonnene Weg in Barcelona fortgesetzt werden kann, bleibt daher ungewiss. Fest steht aber jedenfalls, dass die Super-Welle gerade über Europa schwappt und hoffentlich viele sinnvolle Entwicklungen anstoßen wird.

