In einem Punkt decken sich weltweit die Klimaprognosen: Es wird wärmer. Ob Parks, grüne Dächer oder Bäume in den Fassaden von Hochhäusern – all diese Maßnahmen haben ein Ergebnis: Grüne Strukturen kühlen unsere Städte. Österreich hat Nachholbedarf.
Artikel erschienen in Der Presse > Spectrum > Architektur & Design / 17.06.2017
Im globalen Wandel des 21. Jahrhunderts treten zwei menschenverursachte Phänomene auf, deren Auswirkungen uns derzeit intensiv beschäftigen. Sie sind bereits größtenteils irreversibel und beeinflussen sich durch eine Vielzahl an komplexen Nebeneffekten gegenseitig: Die globale Urbanisierung und der anthropogen verursachte Klimawandel. Die ohnehin schon angespannte Klimasituation in immer größeren, dicht bebauten städtischen Agglomerationen mit viel Gebäudemasse und Infrastruktur wird durch den Klimawandel weiter verschärft. In der Dynamik der Wechselwirkungen beider Systeme nehmen Temperaturen, Hitze- und Trockenperioden, Starkregenereignisse, Überschwemmungen und Starkstürme zu. Möchten wir uns künftig in lebenswerten Städten aufhalten, gilt es klimaschützende und reaktive Maßnahmen gleichermaßen zu setzen. Auch an Planungsdisziplinen wird der durchaus berechtigte Anspruch gestellt, mehr Verantwortung in der Klimawandel Mitigation zu übernehmen und Auswirkungen durch entsprechende Planungslösungen abzuschwächen.
Dichte Stadtgefüge sind in vielerlei Hinsicht, auch im Sinne der Klimawandelvermeidung, durchaus positiv zu werten. Doch soll Stadtverdichtung mit hoher Lebensqualität einhergehen, müssen einige grundlegende Parameter berücksichtigt werden. So etwa die Integration von Grün- und Freiraumstrukturen auf allen städtischen Maßstabsebenen. Neben den vielen Funktionen die grüne Freiräume in der Stadt erfüllen, ist ihr positiver Effekt auf das Stadtklima hervorzuheben. Denn wie ungenau die Berechnungen der Klimamodelle für das 21. Jahrhundert sein mögen, in einem Punkt decken sich alle Aussagen: Es wird wärmer. Bei einer Zunahme der Hitzebelastung um prognostizierte 2 – 4 Grad bis Ende des Jahrhunderts wird die kühlende Wirkung von großflächigen Grün- und Wasserelementen noch dringender als bisher notwendig werden.
Planung kann auf unterschiedlichen Maßstabsebenen Einfluss auf das Stadtklima nehmen. Großräumliche, städtebauliche Interventionen wirken sehr effektiv gegen die Bildung urbaner Hitzeinseln, also dem städtischen Erwärmungseffekt um weitere 3-5 Grad, der uns vorallem durch die fehlende nächtliche Abkühlung zu schaffen macht. Luftschneisen, Grünzüge oder -netze und Parkanlagen bringen kühle Frischluft in die Städte und bieten an heißen Tagen angenehmen Aufenthaltsraum für Städter. Neben der Integration von Parks und Gärten, spielt das Entsiegeln von Oberflächen und die Erhöhung der Versickerungs- und Speicherungsfähigkeit von Böden in Bezug auf Regenwasser eine entscheidende Rolle. Im Kampf gegen steigende Temperaturen liegt auch viel Potential in Fassaden- und Dachbegrünungen. Sie kühlen durch Verdunstung und Beschattung, Reduzieren die Strahlung auf das Gebäude und binden CO2. Wachsendes Technologiewissen ermöglicht hohe Qualitäten, vorausgesetzt man verfügt über entsprechende Mittel.
Eines der aufsehenerregendsten und meistbesprochenen Projekte in Sachen Bauwerksbegrünung wurde 2014 im Zentrum Mailands, gleich an der von Landschaftsarchitekt Andreas Kipar (LAND s.r.l.) geplanten Porta Nuova, fertiggestellt. Ein 20.000 m2 großer, 900 Bäume umfassender Wald, der Bosco Verticale, wächst senkrecht als Teil der immerhin 76 und 110 Meter hohen Fassaden zweier Hochhäuser. Verantwortlich zeichnet das Mailänder Architekturbüro Boeri Studio, das für dieses außergewöhnliche Projekt mit dem Internationalen Hochhauspreis ausgezeichnet wurde. 1,3 m tiefe Betonwannen wurden in Zusammenarbeit mit den Landschaftsdesignerinnen Emanuela Borio und Laura Gatti mit 20 verschiedenen Laub- und Nadelbaumarten bepflanzt und durch weitere 20.000 fassadenbegrünende Sträucher, Blüh- und Rankpflanzen bestückt. Es hat ein ganzes Jahr gedauert, um die Bäume mittels Kränen dort hin zu ziehen, wo sie hin sollten und sie an Bodengittern in den Trögen zu verankern. Ein gebäudeintegrierter Kran am Dach wird nun für die laufende Erhaltungspflege genutzt. Selbstverständlich wird systemisch bewässert, allerdings nachhaltig gespeist durch ein Brauchwasserbecken im Keller.
Das Hauptmotiv dieser aufwändigen hochhäuslichen Begrünungsmaßnahme war die Erhöhung der Ökosystemleistung des Gebäudes, denn das Projekt ist Teil eines umfassenden Grünsystems im Neubauviertel rund um den Bahnhof Porta Garibaldi. Der Fassadenwald verbessert nicht nur das Mikroklima der Wohnungen, er fungiert auch als Trittsteinbiotop zwischen den Grünflächen der Umgebung. Experten sind sich einig, dass solch ganzheitliche Maßnahmen, bestehend aus mehreren kombinierten Einzelmaßnahmen, am effektivsten gegen urbane Hitzeinseln und für das Schaffen von Klima-resilienten Ökosystemen in Städten wirken. Bedenkt man die positiven Effekte, rechnet sich der zugegebenermaßen enorme Planungs- und Errichtungsaufwand von Projekten wie dem Bosco Verticale allemal. Ganz abgesehen von der bewusstseinsbildenden gesellschaftlichen Wirkung. Die aufwändigen Erhaltungsleistungen bleiben aber die Schwachstelle solch innovativer Begrünungsvorhaben an Gebäuden.
In Wien gibt es übrigens in Sachen Gebäudebegrünung durchaus Verbesserungspotential. Von den möglichen 45% an begrünbaren Gebäudedächern werden bislang lediglich 3% genutzt, Fassadenbegrünungen schneiden im Überblick auch nicht besser ab. Neben bürokratischen und baukulturellen Barrieren schrecken wohl auch die Errichtungskosten und der meist erhöhte Pflege- und Erhaltungsaufwand vor gebäudebegrünenden Maßnahmen ab. Vor dem Hintergrund der zu erwartenden volkswirtschaftlichen Folgekosten des Klimawandels ist das freilich eine kleinliche Rechnung. Doch der durchschnittliche Bauherr lässt sich wohl kaum mit volkswirtschaftlichen Klimawandel Argumenten von einer kostenverursachenden Gebäudebegrünung überzeugen. Vielmehr muss mit den monetär ablesbaren Vorteilen geworben werden, gut gemacht kann sich die Investition nämlich in absehbarer Zeit amortisieren. Natürlich können auch Förderungen oder Maßnahmen wie die Einführung einer gesplitteten Abwassersatzung effektiv wirkende Entscheidungshilfen darstellen. Doch in Zeiten von Budgetknappheit und Sparkursen wird man die Sache wohl regulativ angehen müssen, um wahrnehmbare Änderungen im allgemeinen Baugeschehen ablesen zu können. Die im Rahmen des Stadtentwicklungsplanes STEP 2025 bindend festgelegten Bedarfszahlen je Einwohner waren für Wien ein erster Schritt zur quantitativen Freiraumversorgung. Ein weiterer wäre die Einführung eines Ausgleichssystems, das für jeden versiegelten Neubau-Quadratmeter qualitativ definierte, grüne Ausgleichsflächen einfordert. In Deutschland, wo alle beschriebenen Maßnahmen Anwendung finden, werden jährlich etwa 8.000.000 m2 Dachflächen neu begrünt, in Österreich sind es nur rund 500.000 m2 – die Zahlen sprechen für sich.