Die Kunst des Wartens, Spuren der Zeit pflegen

Es ist eine besondere Kunst der Landschaftsarchitektur, die Dynamik der Zeit im Raum sichtbar zu machen. Dafür sind Geduld und die richtige Pflege als Verbündete der Gestaltung erforderlich – und ein Pflegeplan. Stephanie Drlik in der PRESSE > Spectrum > Architektur&Design 30.09.2017

Die Entstehung einer Grünanlage lässt sich in einem durchaus üblichen Ablauf beschreiben. Von der konzeptionellen Entwurfsarbeit über die Planung und Gestaltung bis hin zur Realisierung der Detailplanung ähnelt dieser Ablauf im Großen und Ganzen einer hochbaulichen Entwicklung. Doch anders als die Architektur, die üblicherweise zum vorgesehenen Fertigstellungstermin den optimalen Gebäudezustand herzustellen versucht, ist eine Grünanlage nach ihrer baulichen Errichtung noch lange nicht fertig. Die Landschaftsarchitektur übergibt, und das durchaus beabsichtigt, unvollendete Werke. Denn nach dem Bau und der Übergabe an den Auftraggeber setzt in Parks eine weitere Phase der Entstehung ein, bei der im dreidimensionalen Raum eine 4. Dimension als entscheidende Größe wirkt: der Faktor Zeit. 

Die Landschaftsarchitektur arbeitet mit lebenden, teils unbeständigen Materialien und mit Räumen, die im Freien ungeschützt den klimatischen Einflüssen ausgesetzt sind. Sie muss daher eine gewisse Veränderlichkeit der Planungselemente berücksichtigen, etwa das Wachstum der Pflanzen, die Zyklen der Jahreszeiten oder die Auswirkungen des Wetters. Diese Veränderungen sowie die Zeit und ihre Spuren sichtbar zu machen erfordert viel Wissen und planerisches Geschick. Denn was der Betrachter als ästhetisches Standbild wahr nimmt, ist eine Momentaufnahme zahlreicher, parallel ablaufender physikalischer und biologischer Kreisläufe wie Erosion, Sedimentation, Pflanzenwachstum, Blüte oder Zersetzung. Viele der Prozesse bleiben auf Grund ihrer geringen Ablaufgeschwindigkeit im Alltag unbemerkt, etwa das Wachsen von Großgehölzen. Kurzfristig auftretende Veränderungen hingegen, wie das Sprießen oder Verwelken von Blüten, sind offensichtlicher. Es ist eine besondere Kunst und eine einzigartige Qualität der Landschaftsarchitektur, die unterschiedlichen Geschwindigkeiten der natürlichen Zyklen und Ereignisse sowie die Komplexität ihrer Wechselwirkungen zu verstehen und so zu steuern, dass eine im Jahresverlauf dynamische und ästhetische Raumkomposition entsteht.

In den ersten Jahren nach Errichtung trägt ein Park einen anderen Charakter, als nach Jahrzehnten des Wachsens, des Werdens, der Veränderung, des Vergehens, Verwitterns und Zerfallens. Neu angelegte Grünanlagen, die noch nicht die Patina der Zeit zeigen und keine Nutzungsspuren oder ungeplanten Zufälligkeiten aufweisen können, wirken meist steril, aufgeräumt und kahl. Gerade neben großstädtischen Gebäudekubaturen scheinen die kleinen, frisch gepflanzten Bäumchen und spärlich bewachsenen Beete befremdlich. Die Planung der Natur erfordert eben Geduld. Doch gerade das Abwarten ist in Gesellschaften, wo alles schneller wird und Entwickler zur besseren Vermarktungsmöglichkeit bereits mit der Übergabe fertige Bilder vom perfekten Wohnumfeld einfordern, eine Herausforderung. Es fehlt die Zeit, die eine Landschaft für das Entstehen braucht. Bei größeren Quartiersentwicklungen die einen Stadtteilpark vorsehen, scheint es daher durchaus sinnvoll, als erste Intervention die Grünanlage herzustellen. So können bis zur eigentlichen Besiedelung raumbildende Parkstrukturen heranwachsen, die es den neuen Bewohnerinnen und Bewohner leichter machen, sich mit ihrem Lebensraum zu identifizieren. Im Rahmen der Quartiersentwicklung am Wiener Nordbahnhof etwa, wurde der 3,1 Hektar große Rudolf-Bednar-Park (Hager Partner AG) bereits im Zuge der ersten Entwicklungsphase realisiert. Heute, nach rund zehn Jahren, zeigt die Anlage bereits eine gewisse Etablierung am Standort und strahlt Verbundenheit mit den Bewohnerinnen und Bewohnern aus. Der artifizielle Charakter weicht nach und nach dem natürlich Gewachsenen und innerhalb des geometrischen Parkkonzeptes wird das Erscheinungsbild weicher.

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Der Rudolf-Bednar-Park ein Jahr nach Fertigstellung 2009
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… und rund 8 Wachstumsperioden später: Bednar-Park 2017.

Durch die bauliche Umsetzung einer Planung werden natürliche Zyklen und Abläufe gestartet, die sich als eigendynamische Prozesse fortsetzen. Oder fortsetzen würden, wären da nicht die pflegenden und instandhaltenden Eingriffe, die zur Erhaltung einer Grünanlage gesetzt werden. Die Parkpflege nimmt einen erheblichen Stellenwert für das Gelingen und Funktionieren eines Parkkonzeptes ein. Sie beeinflusst das Erscheinungsbild und wirkt auf die Wahrnehmung einer Anlage, beeinflusst ihre Nutzbarkeit und Nutzungsqualität, das Sicherheitsempfinden und die ökologische Bedeutung des Parks im städtischen Gefüge. Auch kann die Qualität und Intensität der Pflegetätigkeiten erheblichen Einfluss auf die intendierte landschaftsarchitektonische Gestaltungsabsicht nehmen, diese unterstützen, aber auch zerstören. Pflegeleistungen umfassen instandhaltende Maßnahmen an baulichen Elementen ebenso wie gärtnerische Pflegeleistungen. Diverse erhaltende, pflegende und gestaltende Pflanz- und Gehölzschnitte, die allgemeine Pflanzenpflege, der Pflanzenschutz, das Setzen von Neupflanzungen und die Bewässerung, das alles sind Verbündete der Gestaltung. Denn es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Planung, Gestaltung und Pflege. Je statischer das Bild des Parks sein soll und je stärker die Spuren der Veränderung zu unterdrücken sind, desto höher ist die erforderliche Pflegeintensität zur qualitätvollen Erhaltung der ursprünglich gedachten Wirkung. Aber auch Gestaltungen die natürliche Dynamiken sichtbar machen wollen oder einen hohen Anteil an vegetativen Elementen beinhalten, weisen einen erhöhten Pflegeaufwand auf, der von qualifizierten Fachkräften durchzuführen ist.

Dabei ist zu beachten, dass es gerade die erhöhten Pflegeleistungen sind, die Parks teuer machen. Denn die Faustregel besagt: Eingebrachte Instandhaltungskosten überschreiten die Investitionskosten einer Parkanlage im Schnitt bereits nach 7 – 10 Jahren. Zur nachhaltigen Qualitätssicherung ist es daher von besonderer Bedeutung, spätere Anforderungen und Möglichkeiten der Pflege bereits in der Planung zu kalkulieren.

Da die urhebenden Landschaftsarchitektinnen und -architekten üblicherweise nicht Teil der Erhaltungsphase ihrer Planungen sind, sondern spätestens nach der Realisierung und Übergabe der Grünanlage aus dem Prozess ausscheiden, können sie in den meisten Fällen nicht direkt auf die Pflegeabläufe Einfluss nehmen. Eine bewährte Methode zur Weitergabe von Informationen stellt der Pflegeplan dar. Verantwortliche Planer überliefern darin die zur Erhaltung der Gestaltungsabsicht notwendigen Pflegeabläufe und -maßnahmen und bestimmen so, lange vor der stattgefundenen Zeit, welche Spuren die nächsten Jahrzehnte in der Parkanlage hinterlassen sollen. 

© Abb.: Drlik