Das Warten hat sich gelohnt: Der neu errichtete Fred-Zinnemann-Platz in Wien-Landstraße gibt sich nicht mit einer Ebene zufrieden. Ein Platz mit vielen Gesichtern, errichtet mit landschaftsarchitektonischem Geschick – und einem Bauträger mit Freiraumbudget. Stephanie Drlik in DIE PRESSE > SPECTRUM > ARCHITEKTUR & DESIGN / 26.05.2018
Auf dem Gelände des ehemaligen Aspanger Bahnhofes in Wien-Landstraße entstand im Zuge der jüngsten Quartierserweiterung ein Stadtraum mit einer sehenswerten öffentlichen Platzanlage aus landschaftsarchitektonischer Feder, dem Fred-Zinnemann-Platz. Der Platz liegt an den Hauptverkehrsadern Rennweg und Landstraßer Hauptstraße, zwischen dicht besiedelten Wohnanlagen. Der Anspruch offen gestalteter Erdgeschoßzonen, eine Einkaufspassage als öffentlicher Durchgang und die S-Bahnstation auf dem Gelände machten bereits im städtebaulichen Konzept deutlich, dass dieser Ort auf Grund der Gegebenheiten ein Dreh- und Angelpunkt sein wird. So sah man eine öffentliche Platzanlage vor, an deren Konzeptionierung hohe räumliche und funktionale Anforderungen gestellt wurden.
Den Wettbewerb zur Planung und Gestaltung des Fred-Zinnemann-Platzes und der angrenzenden Freiräume konnte das Büro rajek barosch landschaftsarchitektur im Jahr 2008 für sich entscheiden. Zehn lange Jahre und einige planerische Umwege später ist der Platz nun fertiggestellt, so viel vorweg: Das lange Warten hat sich gelohnt. Die Landschaftsarchitekten haben die vielteilige und komplexe Planungsaufgabe mit einem großzügigen Gesamtkonzept, das den Raum ganzheitlich erfasst, beantwortet. Das aus mehreren Teilbereichen zusammengesetzte Freiraum-Ensemble wird durch die repetitive Verwendung von Formen, Materialien und Farben sowie durch das Schaffen von Nutzungs- und Blickbeziehungen zu einer klar erkennbaren Einheit. Das Herzstück des Ensembles bildet der rund 5.000 m2 umfassende, leicht abfallende Fred-Zinnemann-Platz mit ornamental gestaltetem Bodenbelag. Aus der geschliffenen Ortbetonoberfläche wurden mit Hilfe von Schablonen mäandrierend-runde Formen gestrahlt, die sich je nach Witterung und Lichtsituation verändert darstellen. Bei Regen etwa, scheint das Muster gänzlich zu verschwinden, um während des Auftrocknens nach und nach wieder zum Vorschein zu kommen. Das ausgeklügelte Spiel mit der Oberfläche macht den Platz lebendig und verleiht ihm unterschiedliche Gesichter. Die weichen Formen der Ornamente finden sich an zahlreichen weiteren Stellen im Planungsgebiet und rufen den zentralen Platzraum als Orientierungspunkt immer wieder ins Gedächtnis.
Der Platz wurde mit sieben erhöhten Pflanzscheiben ausgestattet, die in ihrer Form den Rundungen des Bodenbelags entsprechen. Jede Scheibe ist mit zwei solitären Hainbuchen besetzt, wobei jeweils eine davon eine bereits fortgeschrittene Wuchsgröße aufweist und den darunter liegenden Platzraum beschattet – bei begrenzten Budgets eine durchaus effektive Methode um ehestmöglich Aufenthaltsqualitäten zu schaffen. Die Pflanzscheiben sind mit hellen, unterschiedlich tiefen und abgerundeten Betonelementen eingefasst, wodurch ein angenehmes Sitzen und Liegen rund um die Bäume ermöglicht wird. Da die Einfassung nicht bodenbündig abschließen, wirken die Inseln leicht, fast beweglich. Die restliche Platzfläche wurde freigehalten, was dem Raum Offenheit und Großzügigkeit verleiht und den ornamentalen Bodenbelag in Szene setzt. Ausstattungselemente wie Radständer, Handläufe oder Poller aus mattem Stahl sind schlicht und zurückhaltend gestaltet. Sogar die unumgänglichen Lichtmasten der Stadt Wien fügen sich mit entsprechendem Farbanstrich gut in das Gesamtkonzept ein. Die helle und sauber wirkende Platzgestaltung ist in ihrer Materialität und Farbgebung stimmig und strahlt trotz ihres eleganten Erscheinungsbildes eine gemütliche Atmosphäre aus.
Eine Herausforderung bei der Entwicklung des Freiraumensembles Fred-Zinnemann-Platz war wohl die Einbindung der auf dem Platz befindlichen S–Bahn Station sowie der Anschluss der angrenzenden, bis zu sechs Meter erhöht liegenden Wohnquartiere. Rajek barosch haben diese schwierige Aufgabe souverän und gewohnt formvollendet gelöst und den Höhensprung in eine großzügige Freitreppe mit rampenartigen Gehwegen verwandelt. Planerisch geschickt konzipiert, konnte auf raumtrennende Absturzsicherungen und Handläufe verzichtet werden. Eine Granit-verkleidete Stützmauer begrenzt auf besonders attraktive Weise, denn die Steinscheiben wurden aus Findlingen geschnitten und tragen die rundliche Form der Bodenornamente am Platz. Die Treppenanlage ist zu einem attraktiven Aufenthaltsraum geworden, die Höhenüberwindung gerät zur Nebensache. Möchte man dennoch den erhöhten Platzbereich oder eine der angrenzenden Wohnanlagen erreichen, so kann das, fußläufig oder mit dem Rad, auf Grund der angenehmen Steigung der Rampe oder über die Treppe ohne große Anstrengung erfolgen. Auf halber Höhe befindet sich eine kleine, überdachte Nische, die einen übersichtlichen Blick über den Platz ermöglicht und ein feines Detail aufweist: Eine digitale Zeitanzeige schreibt, als Reminiszenz an den namensgebenden Filmregisseur Fred Zinnemann und seinen wohl größten Filmerfolg, um zwölf Uhr mittags „High Noon“.
Im oberen Teil des Fred-Zinnemann-Platzes wurden interessante Sichtachsen geschaffen. Jedenfalls sollte man sich die Zeit nehmen und von einer der eigens entworfenen Ipenholzbänke den weiten Blick über den tiefer liegenden Raum genießen. Spaziert man einige Schritte weiter Richtung Westen, gelangt man in einen weiteren Teil des von rajek barosch gestalteten Ensembles, die Außenanlage der Wohnbebauung von Ganahl-Ifsits Architekten. Dank üppig bepflanzter, schotterbedeckter Beete kann in dieser geschmackvollen Anlage bereits nach wenigen Vegetationsperioden ein dicht begrünter Hain aus Erlen, Ebereschen und Farnen erwartet werden.
Der projektverantwortliche Bauträger Austria Immobilien GmbH BAI hat sich im Zuge der Quartiersentwicklung auf dem Grundstück der ÖBB zur Errichtungsfinanzierung des öffentlichen Fred-Zinnemann-Platzes verpflichtet. Ein durchaus Wien-übliches städtebauliches Vertragsgeschäft, das jedoch nicht immer zu solch hochwertigen Ergebnissen führt. Die erfolgreiche Teilung der Verantwortlichkeiten am Fred-Zinnemann-Platz kann, neben dem landschaftsarchitektonischen Geschick von Isolde Rajek und Oliver Barosch, der großen Wertschätzung des Bauträgers gegenüber dem öffentlichen Außenraum zugeschrieben werden. Denn die BAI war bereit, für die Schaffung qualitätsvoller Quartiersfreiräume Geld in die Hand zu nehmen. Die Investitionen in den öffentlichen Raum wurden mit anständigen 280 Euro Herstellungskosten je Quadratmeter veranschlagt – ein hierzulande überdurchschnittliches Freiraumbudget. Im Gros der Fälle arbeiten österreichische Landschaftsarchitekten im mehrgeschossigen Wohnbau mit einem jämmerlichen Drittel dieses Betrages und können unter derartigen Bedingungen klarerweise nur das realisieren, was unter Kostendruck und Budgetknappheit gerade noch möglich war. Der Fred-Zinnemann-Platz zeigt, wie es anders gehen kann.