Wer baut, gestaltet. Aber wie?

Dank einer Asfinag-Initiative vor zehn Jahren wurde beim heimischen Straßenbau Gestaltungskultur in den Mittelpunkt gerückt. Nun wurde das Gestaltungsgremium aufgelöst: Kommt es zu einer Rückkehr des Irgendwie von ehedem? Ein Beitrag von Stephanie Drlik in DIE PRESSE > Spectrum > Architektur & Design / 3. 11. 2018

 

Sie ist so schön, die heimatliche Landschaft mit ihren Bergen, Tälern, Seen, Wäldern und Straßen. Ja, auch Straßen sind Teil unserer Kulturlandschaft und sogar kein unwesentlicher. Denn die Erschließung und Anbindung aller Teile des Landes ist in einer Gesellschaft die maximale Mobilität einfordert oberste Priorität. Doch Straßen, insbesondere Autobahnen und Schnellstraßen, geraten immer wieder in Konflikt mit den Anforderungen des Schutzgutes Landschaft. Auf Grund der notwendigen Dimensionierung greifen sie massiv in unsere Lebensräume ein. Auf der anderen Seite stehen Hochleistungsstraßen mit ihren großradialen Biegungen durchaus auch positiv besetzt für Fortschritt und Innovationskraft. Und zusammen mit unzähligen Tunneln, Lärmschutzwänden, Brücken, Rastplätzen, Parkplätzen, Mautstationen und Autobahnmeistereien werden Autobahnen zu einer besonderen Ausdrucksform der jeweiligen Baukultur einer Gesellschaft. Der Grad der Landschaftsverträglichkeit und die Qualität der architektonischen Gestaltung der Infrastrukturmaßnahmen sagen daher viel über uns als Gesellschaft aus. 

In Österreich ist die allseits bekannte Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft, kurz ASFINAG, für die Errichtung und Erhaltung des heimischen Hochleistungsstraßennetzes verantwortlich. Dank ihrer langjährig guten Arbeit bewegt man sich hierzulande auf rund 2.220 Kilometern technisch durchwegs hochwertig ausgeführten Straßen. Doch neben der laufenden technischen Optimierung wurde der Gestaltungsanspruch an die Infrastrukturleistungen lange Zeit weitgehend vernachlässigt. In der Kritik standen weniger die großen Vorzeigeprojekte, wie vielbeachtete Brücken- oder Tunnelbauten, sondern die unzähligen kleineren, schlecht gestalteten Baumaßnahmen, die in ihrer Summe unsere Straßenräume über Jahrzehnte hinweg negativ prägten. Es fehlten raumübergreifende Gestaltungsrichtlinien und ein zuständiges Organ, das deren Umsetzung einforderte. So entstanden etwa die immer gleichen, einfallslosen ASFINAG Wirtschaftsgebäude und es kam  zu einem Wildwuchs an Lärmschutzwänden, die abschnittsweise einer Materialschlacht diverser Herstellerfirmen glich.

Doch im letzten Jahrzehnt hat sich bei der ASFINAG in Sachen Gestaltungsanspruch einiges getan. Ganz dem Zeitgeist entsprechend versuchte man seiner Verantwortung in Hinblick auf das öffentliche Interesse nachzukommen und setzte zunehmend auf ökologische und soziale Verträglichkeit. Und man verfolgte das Anliegen eine architektonisch wertvollere Baukultur zu etablieren. Der Plan ging nach und nach auf, die vor beinahe 10 Jahren ausgerufene ASFINAG Gestaltungsinitiative löste einen merklichen Gestaltungsaufschwung aus. Dabei wollte man alle gestaltungsrelevanten Baumaßnahmen in Hinblick auf ihre architektonische Qualität verbessern, so sagt es der offizielle Internetauftritt, denn schließlich ist man sich bewusst: „Wer baut, gestaltet“. Auch die sensiblere Eingliederung der Infrastruktur in die Landschaft sollte langfristig verbessert werden. Um die Einhaltung der gesetzten Ziele zu gewährleisten, nahm ein Gestaltungsbeirat zu Beginn der Initiative seine Arbeit auf, bestehend aus ASFINAG-internen und externen Experten aus den Bereichen Architektur, Landschaftsarchitektur und Raumplanung sowie aus Vertretern der Architektenkammer. Der Beirat nahm zu den vielen anstehenden Gestaltungsentscheidungen Stellung, die sich im Zuge der Planung, Erhaltung und Instandsetzung entlang des ASFINAG Straßennetzes ergaben. Aufgaben, die bis zur Einführung des Beirates von den mit der Planungs- und Umsetzungsentwicklung betrauten ASFINAG Mitarbeitern eigenverantwortlich gelöst werden mussten. Bei der Vergabe größerer Bauvorhaben bediente man fortan das Instrument des Architekturwettbewerbs und besetzte die Fachjury unter anderem mit Vertretern des ASFINAG Gestaltungsbeirates, um die Kontinuität der Beurteilungsstandards zu gewährleisten.

Die Gestaltungsinitiative war eine umsichtige und fortschrittliche Herangehensweise, die merklich sichtbare Verbesserungen der Gestaltungsqualitäten zur Folge hatte. Zahlreiche Vorzeigeprojekte gehen auf diese Initiative zurück. Etwa die goldenen Portale des Bosrucktunnels von Riepl Riepl Architekten oder jene in den Karawankentunnel von Hertl Architekten oder auch die ausgezeichnete Autobahnmeisterei in Liefering von Marte.Marte Architekten. Doch neben diesen, aus Architekturwettbewerben hervorgegangenen Prestigeprojekten, gilt es im Besonderen die unzähligen, kleineren Eingriffe hervorzuheben, die ohne das kuratierende Zutun des Gestaltungsbeirates wohl kaum in einer angemessenen Gestaltungsform realisiert worden wären.

Nun, da durch den Einsatz der handelnden Personen ein gewisser Gestaltungsstandard erreicht werden konnte, wurde diesen Sommer unerwartet und ohne sinnvolle Begründung die Auflösung des Gestaltungsgremiums veranlasst. In einem Schreiben an die Beiräte hebt die Vorstandsdirektorin der ASFINAG und Vorsitzende des Gestaltungsbeirates, Karin Zipperer, die Funktion des Beirates als wichtiges Organ bei der architektonischen Gestaltung der ASFINAG Projekte als erwiesen hervor und betont die Akzente die gesetzt werden konnten – „auch und gerade in der öffentlichen Wahrnehmung”, so heißt es. Doch nach fast 10-jährigem Bestehen möchte man „an der einen oder anderen Stelle neue Akzente setzen“. Jedenfalls kann davon ausgegangen werden, dass die Absetzung des Gestaltungsbeirates auch ASFINAG-intern nicht von allen, die sich in den vergangenen Jahren für die Gestaltungsinitiative stark gemacht haben, goutiert wurde. Warum dennoch ein gut funktionierendes Gremium gerade zu einem Zeitpunkt abgesetzt wird, da sich eine erfolgreiche Praxis etablieren und das baukulturelle Image der ASFINAG verbessert werden konnte, ist nicht nachvollziehbar. Auf Rückfrage betont man den bisherigen Weg weitergehen zu wollen, doch möchte man innehalten und Abläufe überdenken – ohne Beirat, jedoch weiterhin mit Architekturwettbewerben. Dabei sind es gerade die vielen kleineren Interventionen, die ohne Wettbewerbsverfahren auskommen müssen und denen, nun ohne gestaltungsberatendes Beiratsgremium, ein Qualitätsverlust droht. Denn es muss befürchtet werden, dass die alte Gebräuchlichkeit der ad hoc Gestaltung durch technikzuständige ASFINAG Mitarbeiter ohne Gestaltungskompetenz wiedereingeführt wird. Die daraus resultierenden vielen kleinen Schandflecke werden in ihrer Summe eine Botschaft deutlich machen: Mit der politischen Umfärbung des zuständigen Verkehrsministeriums setzt man heute statt auf Gestaltungsinitiativen lieber auf Initiativen zur Erhöhung des Tempolimits – ganz im Sinne der Nutzer, die dann wenigstens möglichst schnell an den unschönen Gestaltungspatzern vorbeifahren können.