Es muss wieder geträumt werden

Park statt Immobilienverwertung? Eine Vision, die im wachsenden Wien immer schwerer vorstellbar wird. Dabei wäre ein Grünraum entlang des Westbahngeländes nicht nur Gebot der hitzigen Sommerstunde. Ein WESTBAHNPARK, Gedankenspiel mit Zukunft von STEPHANIE DRLIK in „DIE PRESSE“ > Spectrum > Architektur & Design > 27.07.2019

 

In Wien beschäftigen uns derzeit zwei große Trends. Erstens: Die Stadt platzt aus allen Nähten. Bereits seit vielen Jahren schießen querfeldein mehrgeschoßige Wohnanlagen aus dem Boden, und innerstädtisch herrscht intensivster Nachverdichtungsdrang, leider auch auf Kosten von Grün- und Freiflächen. Letzteres trägt dazu bei – und damit kommen wir zum zweiten Trend –, dass es immer wärmer wird. In einer Stadt, die durch die gegenwärtigen klimatischen Gegebenheiten ohnehin unter steigenden Temperaturen leidet, schlägt sich eine Grün- und Freiflächen verschlingende Bauweise äußerst negativ nieder.

Der aus Oberflächenversiegelung und flächendeckender Bebauung entstehende urbane Hitze-Insel-Effekt verursacht extreme Bedingungen mit tropischen Tages- und Nachttemperaturen. Abkühlung für Städterinnen und Städter verschafft oftmals nur die Flucht ins klimatisierte Innere, denn unsere Stadträume sind einfach noch nicht ausreichend hitzetauglich gestaltet. Seit Jahren wird daher mehr Grün in der Stadt gepriesen: grüne Infrastruktur zwischen und an beziehungsweise auf Gebäuden, möglichst viele Bäume und natürlich innerstädtische Parks. Den klimawirksamsten Effekt auf den Stadtraum haben aber Großgrünanlagen, da diese wie natürliche Klimaanlagen auf die Stadt wirken.

Doch, und jetzt kommen wir wieder zum eingangs erwähnten rasanten Wachstum der Stadt Wien, wo sollen mehrere Hektar oder noch größere Flächen im sich verdichtenden Wiener Stadtgebiet für Grünanlagen freigehalten werden? Und wie sollen diese finanziert werden, wo doch die wohnbauliche Verwertung des freien Raumes wesentlich lukrativer ist?

Die letzten großen, verfügbar gemachten Stadtentwicklungsflächen im innerstädtischen Wien wurden durch Auflassung ehemaliger Gleis- und Infrastrukturanlagen der ÖBB im Bereich des Hauptbahnhofs, des Nord- und des Nordwestbahnhofareals freigegeben. Auf diesen Flächen entstanden und entstehen, neben den bekannten Entwicklungen am Stadtrand, die wichtigsten Stadtteile der jüngsten Planungsgeschichte Wiens. Und jedes dieser Quartiere wurde und wird dank der klaren Vorgabe der Stadt mit einem – mehr oder weniger großzügigen – Quartierspark ausgestattet.

Nun kommt das womöglich letzte innerstätische ÖBB-Verwertungsgebiet ins Gespräch, das in vielerlei Hinsicht Stadtentwicklungspotenziale aufweist: die Westbahntrasse zwischen Westbahnhof und Hütteldorf. Im Unterschied zu Nord- und Nordwestbahnhof wird freilich hier der Bahnbetrieb nicht eingestellt. Der denkmalgeschützte Westbahnhof und die von ihm ausgehenden Verbindungen bleiben in Betrieb. Doch seit geraumer Zeit fallen, Stück für Stück, Flächen aus der aktuellen Nutzung, Bahngebäude und Lagerräume stehen leer, und Randgleise werden nicht länger gebraucht. Dadurch könnte mit der Zeit ein etwa sechs Kilometer langes, kreuzungsfreies und auf einer Ebene liegendes Areal frei werden. Da dieser Prozess langsam und schleichend voranschreitet, wird befürchtet, dass die frei werdenden Flächen nun ebenso langsam und schleichend kleinteilig verbaut werden. Trotz der Nahlage zur Bahn eine durchaus berechtigte Sorge, verfolgt man den enormen Verwertungsdruck auf freie Stadtflächen. Eine wenig erfreuliche Vorstellung für den Westen von Wien.

Daher haben sich einige umtriebige Künstler, Landschaftsgestalter und Architekten rund um die Österreichische Gesellschaft für Architektur (ÖGFA) zusammengetan, um in einer öffentlich geführten Debatte andere Möglichkeiten aufzuzeigen. Dabei sind durchaus auch aus heutiger Sicht unmöglich scheinende Szenarien und Gedankenspiele erlaubt. Denn um bisherige Gebräuchlichkeiten zu durchbrechen, muss erst aus üblichen Denk- und Möglichkeitsrahmen herausgetreten und, scheint es auch noch so unrealistisch, von Besserem geträumt werden dürfen. Etwa von einem sieben Hektar großen Westbahnpark mit kühlenden Grün-, Natur- und Erholungszonen, Bewegungs-Highway und Kilometerschwimmbecken – Blick auf Schönbrunn und Wienerwald inklusive! Das schlägt jedenfalls BLA vor, das „Büro für lustige Angelegenheiten“, ein Kollektiv aus KünstlerInnen, LandschaftsarchitektInnen und ArchitektInnen, allen voran Hannes Gröblacher, Lilli Lička und Karoline Seywald, die in ihrer Vision versuchen den Stadtraum über die Landschaft zu denken. Ein zukunftsfähiger Ansatz.

Brancheninsidern allerdings entlockt die Idee lediglich ein Schmunzeln – was vermutlich auch die Absicht des Büros für lustige Angelegenheiten sein könnte. Denn Alltag stumpft ab, und der über Jahrzehnte angewachsene Planungspragmatismus muss erst überwunden werden, bevor man wieder neue Perspektiven und Chancen sehen kann.

Was jedenfalls für einen Westbahnpark spricht, ist die bedenklich schlechte Grünraumversorgung des angrenzenden 15. Bezirks, des am dichtesten bewohnten und bebauten Außenbezirks von Wien. Hier hinkt die Realität der Freiraumversorgung den Vorgaben des Wiener Stadtentwicklungsplanes weit hinterher.

Umso interessanter, dass in der aufgeworfenen Diskussion die Kosten-Nutzen-Rechnung einer Parklösung hinterfragt wird. Gerade was die soziale Grünraumgerechtigkeit Wiens anbelangt, rechnet sich ein Westbahnpark jedenfalls. Auch werden offenkundig nach wie vor der Einfluss und die zu erwartenden Folgekosten der Klimakrise unterschätzt. Im Setting eines offenen Nachdenkraumes wäre jedenfalls spannend, den Kosten für Ankauf und Nutzbarmachung der kontaminierten Infrastrukturanlage die volkswirtschaftlichen Kosten gegenüberzustellen, die aus städteplanerischem Nichthandeln im Klimawandel entstehen könnten. Gerade hat Wien wieder eine Woche mit hohen Temperaturen hinter sich gebracht. Die Vorstellung von Skopje als von ETH-Zürich-Umweltwissenschaftlern referenziertes Klimapendant zu Wien im Jahr 2050 rückt in den Bereich des Vorstellbaren.

Darauf muss das Wien von heute mit vorausschauenden Planungslösungen in großem Maßstab reagieren. Vor dem Hintergrund der stadtklimatologisch günstigen Lage der linearen Westbahntrasse, Stichwort Westwind-Frischluftschneise mit Wienerwald-Anschluss, ist die Forderung nach einer ganzheitlichen Betrachtung des westlichen Wiener Stadtraumes mehr als berechtigt. Wien sollte jedenfalls alle Möglichkeiten zur Kühlung der Stadt nützen. Wir werden sie brauchen.

Übrigens, wenn Sie sich selbst ein Bild machen möchten: BLA führt am 25. August um 10.30 Uhr durch den imaginären „Westbahnpark“, pünktlich zum erntefrischen Spätsommer mit dem Thema „Markt am Zug“. Absolut erlebenswert und jedenfalls, wie der Name des Büros für lustige Angelegenheiten erahnen lässt, mit einigem Unterhaltungswert. Treffpunkt: Felberstraße 3, 1150 Wien.

Foto: Westbahntrasse, Wien ©Drlik