Bäume mit Mehrwert

Von der Ästhetik des Selbstverständlichen: Auf einen vormaligen Maisacker zu Wattens hat das Architekturbüro Snøhetta eine Streuobstwiese gezaubert, in der ein modernes Raumkonzept mit traditionellen Tiroler Landschaftselementen vereint ist. Stephanie Drlik in Die PRESSE (Spectrum, Architektur&Design) / 21. März 2020.

Es ist heutzutage einigermaßen selbstverständlich, dass Unternehmen Beiträge zur nachhaltigen Entwicklung einer Gesellschaft leisten. Corporate Social Responsibility (CSR) nennt man das und es findet auf sehr unterschiedlichen Ebenen statt. Meist beziehen sich Maßnahmen auf die eigene Geschäftstätigkeiten innerhalb des Unternehmens, die Mitarbeiter oder Umweltaspekte betreffend. CSR ist freiwillig, mehr oder weniger, schließlich geht es für Wirtschaftstreibende um das so wichtige gute Image. Maßnahmen völlig außer Acht zu lassen, kann sich heute kaum ein größeres Unternehmen leisten. Unter diesem Druck entstehen unzählige Lückenfüller für notwendig gewordene Nachhaltigkeitsberichte. Dann und wann stößt man dennoch auf ernst gemeinte Beiträge. So geschehen im Tiroler Wattens, Hauptsitz des österreichischen Familienunternehmens Swarovski. Der Weltkonzern zeigt bereits seit einigen Jahren sichtliches Engagement für die Region. Schließlich werken die Swarovskis bereits seit dem 19. Jahrhundert am Standort, da trägt man eine gewisse Verantwortung für die Region in der man schon so lange erfolgreich wirtschaftet. Man übernimmt Verantwortung, also Corporate Regional Responsibility. Wattens soll, so der Leitgedanke des Firmengründers anno dazumal, ein schöner Ort zum Leben sein. Und seit damals wird immer wieder an diesem Ziel gearbeitet, etwa im Rahmen von Siedlungsprogrammen zur Schaffung von Wohnungen für die Belegschaft. Es scheint ein funktionierendes Geben und Nehmen – nun hat Swarovski in Wattens wieder einmal gegeben. Ziemlich uneigennützig und, im Gegensatz zu den Kristallwelten, diesmal mit wenig Trommelwirbel und Design-chic, dafür mit Gespür für die regionale Landschaft. Handlungsrahmen war ein 3,5 Hektar großer Maisacker vor den Toren der Swarovski Produktionsstätte. Die Agrarfläche auf Swarovski – Grund wurde als Potentialfläche identifiziert und in eine öffentlich nutzbare „Streuobstwiese“ verwandelt. Klingt nach ein paar Bäumen auf einer Wiese, ist aber weit mehr: Entstanden ist ein Hybrid aus landwirtschaftlicher Produktionsfläche und Park, wobei weniger die Ertragsaussichten, als vielmehr der gesellschaftliche Mehrwert im Vordergrund stand.

Für die Umbau- und Erweiterungsarbeiten der bekannten Swarovski Kristallwelten 2014 bis 2015 beauftragte man unter anderem das norwegische Architekturbüro Snøhetta, das mit Büropartner und Managing Director Patrick Lüth auch einen Standort in Innsbruck betreibt. Es folgte eine weitere Kooperation zwischen Swarovski und Snøhetta zur Erarbeitung eines Gestaltungsleitfadens für das gesamte Produktionsgelände und, beauftragt von Swarovski und der Marktgemeinde Wattens, die Erarbeitung einer „Vision Wattens“. Mit Zweiterem legte Snøhetta Entwicklungsideen für die Gemeinde vor und realisierte sogleich eine solche – inhaltlich vorangetrieben und finanziell ermöglicht durch den umsichtigen Unternehmensleiter Markus Langes-Swarovski.

Das weltweit agierende Architekturbüro Snøhetta ist für seine interdisziplinäre Arbeit und die standortbezogenen Planungsansätze bekannt. Und obwohl Streuobstwiesen sicher nicht zum Kerngeschäft des Architekturbüros zählen, hat Snøhetta wieder einmal geschafft, was man auch in der Architektur so gut kann: Kontextorientiertes Planen mit Fokus auf die nutzenden Menschen, verpackt in eine symbolkräftige ästhetische Formensprache.

Mit dem Aushubmaterial eines neu errichteten Manufakturgebäudes wurde der Landschaftsraum vor dem Swarovski Werk topographisch modelliert. Über die entstandene hügelige Topographie legt sich ein strenger Raster aus 231 halb- und hochstämmigen Solitär-Obstbäumen in unterschiedlichen Größen und Altersstufen, ergänzt von etwa 100 Beerensträuchern und einer Wildobsthecke. Durchbrochen wird der geometrisch angelegte Obstgarten lediglich von einer Kirschbaumallee, die den Weg zu den Kristallwelten begleitet. Zwischen den Obstbäumen soll in den kommenden Jahren eine blumenreiche Magerwiese entstehen, die für die Obstblütenbestäubung wichtige Insekten anlocken wird. Dafür ist eine Abmagerung der vorhandenen Wiese notwendig, das braucht Zeit und spezielle Pflegeabläufe. Ein regelmäßiger Grasschnitt und der konsequente Abtransport der Mahd entziehen der Fettwiese Nährstoffe. Dieses intensive Pflegemanagement wird fortgesetzt, bis sich Magerrasenelemente etablieren können.

Die Gestaltung der Anlage ist stimmig und erinnert in ihrer Ästhetik des Selbstverständlichen trotz modernem Raumkonzept an traditionelle Tiroler Landschaftselemente. Der formale Kontrast zwischen Topographie und Baumraster, die funktionale Planung und Ausführung inklusive Versickerungsmulden und Feuchtflächen sowie das durchdachte ökologische Konzept – das alles macht den Unterschied zwischen einer Wiese auf der Obstbäume wachsen und einem umfassenden landschaftsarchitektonischen Werk mit hohem ökologischem und sozio-kulturellem Wert.

Auf der Fläche wurden 140 heimische, größtenteils alte Kultur- und Wildobstarten und -sorten angebaut. Die halb- und hochstämmigen Bäume geben eine traditionelle, widerstandsfähige Form des regionalen Obstbaus wieder, der im Gegensatz zur heute weit verbreiteten Niederstamm-Dichtbepflanzung weniger ertragreich ist. Doch um Erträge geht es hier nicht, es geht um die Stärkung des gemeinschaftlichen Lebens in Wattens. Die Obstbäume werden von den Tiroler Obst- und Gartenbauvereinen und den Tiroler Baumwärtern gemeinsam mit der Bevölkerung gepflegt und beschnitten. Begleitend ist ein entsprechendes Umweltbildungs- und Veranstaltungsprogramm angedacht, das die BewohnerInnen einbindet. Schließlich gilt es nicht nur Wissen über alte Obstsorten weiterzugeben. Als wertvolles Element der traditionellen, bäuerlichen Kulturlandschaft Tirols, erfüllen Streuobstwiesen generell einen enorm hohen ökologischen Wert. Neben der Obst- und Blumenvielfalt wird durch die Obstwiese eine Zunahme an Wildbienen, Hummeln, Schmetterlingen, Vögeln, Fledermäusen, Siebenschläfern und anderen wichtigen Ökosystemträgern erwartet. Außerdem sollen Bienenstöcke platziert und in Zusammenarbeit mit dem lokalen Imkerverein bewirtschaftet werden.

Die Idee, eine landwirtschaftliche Monokulturfläche in einen Genpool alter Obstsorten zu verwandeln ist ein schönes Symbol. Dass die Privatfläche der Bevölkerung als öffentlich nutzbare Parkanlage zugänglich gemacht wurde, hebt dieses Symbol ins Hier und Jetzt und macht die landschaftsarchitektonische Intervention zu einem bleibenden Wert für die Gemeinde. Wird die Idee der Streuobstwiese von der Bevölkerung angenommen, könnte das verantwortungsvolle Handeln von Swarovski die Region tatsächlich nachhaltig stärken: Corporate Regional Responsibility eben.

Foto: Thomas Steinlechner