Ein viel diskutiertes und umstrittenes Gebäude geht in Betrieb: Der neue City-Ikea beim Wiener Westbahnhof. Mit der Begrünung der Fassade des Gebäudes betritt das Unternehmen technisches Neuland: Hinter der Bewässerung der 160 Bäume in Töpfen steckt ein hochkomplexes Konzept. Das ist auch notwendig, denn wenn Pflanzen eingehen, können sie kaum ersetzt werden. Green-Washing oder ernstgemeinter Systemwandel? Vermutlich irgendwo dazwischen stellt sich Ikea jedenfalls einer nicht ganz billigen technischen Innovation. Mehr zur Baum-Fassadenbegrünung hier oder in Die PRESSE vom 27.07.2021
Das schwedische Einrichtungshaus IKEA ist ein Vorreiter, wenn es um Markttrends geht. Eher hinten nach war man jedoch bei der Einhaltung ökologischer Standards, das lässt sich zumindest an der Firmengeschichte ablesen. Das Möbelimperium hat sich weitreichende Umweltsünden geleistet, ganz abgesehen von dem mehr als fraglichen „Benutze es und wirf es weg“ Möbel-Wegwerf-Konzept. Aktuell scheint man sich aber, ganz dem Zeitgeist und den Wünschen der Konsumenten entsprechend, der Nachhaltigkeit verschrieben zu haben. In diesem Sinne entstand ein neuer City-Standort, das „hus“ beim Wiener Westbahnhof (Eröffnung Ende August). Statt der immer gleichen, gelb-blau eingefärbten Verkaufshalle, entstand ein gänzlich in weiß gehaltenes Gebäude nach den Plänen von querkraft architekten. Neu ist auch der urbane Zugang, der das neue hus nicht in der großstädtischen Peripherie verortet, sondern vielmehr im metropolen Herzen Wiens. Das Grün wandert dafür von der sprichwörtlich grünen Wiese auf das Gebäude und zwar in Form von rund 160 überdimensionalen Topfpflanzungen in den Größen Small, Medium und Large.
Das Projekt war insbesondere in der ersten Phase der Immobilienentwicklung umstritten, als der Vorgängerbau, das blaue Gründerzeithaus auf der Mariahilferstraße 132, abgetragen und die Fläche von der ÖBB an IKEA verkauft wurde. Für viele Expertinnen und Experten wäre das Freiwerden eines großen Baublocks eine seltene Chance gewesen, eine durch Infrastruktur und Verkehr massiv belastete Liegenschaft neben Gürtel und Westbahnhof eine zu nützen, um dem Grünraummangel der angrenzenden Bezirke Neubau und Rudolfsheim-Fünfhaus entgegenzuwirken. Ein Park oder ein begrünter Platz hätte es werden können, doch die wirtschaftlichen Argumente eines City-IKEAs waren überzeugender. Zudem brachte IKEA ein durchaus beeindruckendes stadt- und klimaschonendes Konzept ein, das auf Fußgänger, Öffi- und Radfahrer ausgerichtet ist. Sperrgut wird frei Haus geliefert, den Rest nimmt man in der bekannten blauen Tasche mit. Statt den Autos, die üblicherweise auf dem Dach parken, wurde ein öffentlich zugänglicher und für die Allgemeinheit konsumfrei nutzbarer Dachfreiraum in Aussicht gestellt. Weiters nahm sich IKEA eine umfassende Bauwerksbegrünung vor, die Kühlung und eine Vielfalt an Arten in der Stadt fördern soll. Kurz und Gut, das billigmöbelproduzierende Unternehmen möchte mit diesem Projekt zum Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit werden.
Mit dem Querkraft-Entwurf nahm man sich die Realisierung einer alles andere als gewöhnlichen Gebäudebegrünung vor. Der Innovationsfaktor hält, was der Entwurf versprochen hat. Herkömmliche Pflanzungen und Rankgerüste finden sich nur vereinzelt. Die eigentliche Begrünung besteht aus Bäumen, die in überdimensionalen Blumentöpfen an der Fassade, auf dem Dach und in Innenhöfen wachsen. Diese rund 160 Bäume sollen den Eindruck eines skandinavischen Waldes vermitteln, inspiriert durch die vier schwedischen Nationalparks.
Die Detailplanung und Umsetzungsbegleitung dieses außergewöhnlichen Vorhabens erfolgte durch das Büro Kräftner Landschaftsarchitektur im Team mit den BegrünungsinnovatorInnen von Green4Cities. Unterstützt wurden sie vom Garten- und Landschaftsbaubetrieb Grünbau Jakel und dem Bewässerungstechniker Raintime. Geballte Grün-Kompetenz, die es definitiv gebraucht hat. „Das System der mit Bäumen bepflanzten Töpfe ist gänzlich neu und hat in der Planung und Realisierung viele Fragen aufgeworfen“, erzählt Landschaftsarchitekt und Büroinhaber Joachim Kräftner. Zum einen stellte die Statik eine Herausforderung dar, denn die Bäume vergrößern durch ihr Wachstum Gewicht und Windangriffsfläche. „Als Landschaftsarchitekt kann ich natürlich gewisse Basisdaten über die Pflanze bereitstellen, aber Erfahrungswissen wie sich 160 in Blumentöpfen gepflanzte und an der Gebäudehülle angebrachte Bäume entwickeln, hatten auch wir nicht“, gibt Kräftner zu. Ein Windgutachten hat daher für jede Baumart und jeden Topfstandort anhand des jeweiligen Blattflächenindex Winddurchlässigkeitswerte berechnet. Damit Bäume und Töpfe nicht kippen, ist jeder Trog einzeln an Gebäude-umspannende Stahlträger montiert. Weiters wurde der Wurzelballen an Ösen im Topf verankert und die Kronen der mittelgroßen und großen Bäume zusätzlich mit Seilen an der Stahlträgerkonstruktion angebunden.
Von Projekten wie dem Mailänder „Bosco Verticale“, einem Hochhauskomplex mit waldartiger Fassadenbegrünung, weiß man, dass ein gewisser Teil der gepflanzten Bäume im Laufe der ersten Jahre eingeht. Im Gegensatz zum Bosco Verticale werden aber beim Wiener City-IKEA Baumausfälle nicht nachgesetzt. Denn die Großgehölze können ausschließlich mit einem Baukran gehoben und platziert werden, über das Gebäudeinnere gibt keinen entsprechenden Zugang. Die PlanerInnen versuchen daher durch einen besonders sorgsamen Umgang mit den Gehölzen Ausfälle tunlichst zu verhindern. „Bäume sind lebendes Material, man kann sie nicht einfach einkaufen und abstellen bis sie zum Einsatz kommen“, erklärt Kräftner. Die Großgehölze wurden daher bereits vor einem Jahr von der deutschen Baumschule Lappen erworben und zur Akklimatisierung zum heimischen Baumschulpartner Haselberger geliefert, bevor sie weiter nach Wien gereist und zu Topfpflanzen geworden sind.
Eines der Schlüsselelemente für lange Baumlebenszyklen ist in diesem Projekt jedenfalls die Bewässerung. „Regelmäßiges Austrockenen des Substrates in den Töpfen setzt den Großgehölzen zu“, erklärt Ferdinand Prinz von Raintime. Die von den Landschaftsarchitekten aufwändig konstruierten Pflanztröge sehen von außen schlicht und einfach aus, doch im Inneren sind es hoch technisierte Behältnisse mit Messsensoren, die alle relevanten Informationen an die Steuerung funken. „Nicht nur die Exposition, auch die verschiedenen Baumarten und -größen benötigen einen teils sehr unterschiedlichen Wasserbedarf“, sagt Prinz und ergänzt, dass die Cloud-basierte Steuerung derzeit geprüft und kalibriert wird, um entsprechende Informationen im Steuergerät hinterlegen zu können. „Denn schließlich geht es nicht nur um das Messen, sondern auch darum, was die gemessenen Daten auslösen“. Es soll eine für jeden Baum optimale Situation geschaffen werden.
Die Kritik, systemgebundene Fassadenbegrünungen seien techniklastig, material- und kostenaufwändig sowie wartungsintensiv, trifft bei diesem Projekt voll und ganz zu. Die Planungsleistung und die notwendige Fachkompetenz zur Umsetzung war enorm. Dennoch besticht das Projekt mit seiner neuartigen Idee und der hochwertigen technischen und gestalterischen Ausführung. Wie sich der Schwedenwald in Zukunft entwickeln wird, zeigt sich erst in ein paar Jahren. Die technische Grundlage für ein langes Leben ist jedenfalls gelungen.