Grün, grüner, am grünsten müssen unsere Städte werden, um sich vor den Folgen des Klimawandels zu wappnen. Doch ist wirklich alles gut, was gut gemeint ist? In Wien stehen Nebelduschen und Grünfassaden immer wieder in der Kritik des Greenwashing. Vor dem Hintergrund, dass die EU soeben Energie aus Gas und Atomkraft als „grün“ im Sinne der EU Taxonomie eingestuft hat, scheint die Debatte um ein mögliches Greenwashing einzelner Begrünungsmaßnahmen geradezu lächerlich. Um Städte im Klimawandel zu kühlen braucht es rasch mehr grüne Infrastruktur. Halten wir uns nicht mit Entweder-oder Diskussionen auf, jede Maßnahme die kühlt, leistet einen Beitrag. Mehr dazu von Stephanie Drlik in der österreichischen Tageszeitung Die Presse vom 22.07.2022 oder hier zum nachlesen:
Eines der ersten EU-Länder, das ein Konzept zur Klimawandelanpassung veröffentlichte, war Österreich. Das war 2012, zu einer Zeit, als man sich noch gerne auf ein Klimaszenario ausgeredet hat, in dem die globale Erwärmung in den Griff bekommen wird. Heute, zehn Jahre später, inmitten einer europaweiten Hitzewelle, wissen wir: Klimawandelauswirkungen werden sich weiter verstärken, und wir müssen etwas tun. Im Fokus stehen dabei Stadträume, dort leben und arbeiten die meisten Menschen; zudem sind Städte besonders hitzegefährdet. Durch den hohen Anteil an versiegelten Oberflächen kommt es zu einem Wärmeverstärkungsphänomen, dem Hitzeinseleffekt, unter dem Menschen zunehmend leiden. Doch gerade der Hitze kann in Städten auf einfache, effektive Weise begegnet werden: durch Pflanzen. Diese sind nicht nur höchst klimawirksam, sie sind auch sehr beliebt.
Green sells, nicht nur bei Architekturwettbewerben, wo dschungelartige Renderings Siege einfahren; wenn Bewohner:innen Mitsprache erhalten, wünschen sie sich Grün, Grün und noch mehr Grün. Daher erscheinen Begrünungsmaßnahmen als gute Strategie. Doch ist wirklich alles gut, was derzeit grünt? Und ist das auch klimawirksam? In Wien tut sich einiges in Sachen Klimawandelanpassung. Neue Parks entstehen, Bäume werden gepflanzt und Straßen zu grünen Aufenthaltsräumen. Leider steigt auch der PR-getriebene Coolnessfaktor Wiens. Coole Straßen, coole Meilen und Coolspots stehen immer wieder in der Kritik des Greenwashing, da Vernebelungsanlagen zum Einsatz kommen, die nicht nachhaltig wirken.
Bei der Entwicklung von klimafitten Stadträumen arbeiten Planer:innen mit diversen Anpassungsmaßnahmen, jede verfolgt andere Strategien. Bäume sind etwa richtige Klimawunder, sie wandeln das böse CO2 in wichtigen Sauerstoff um und kühlen durch Verdunstung und Beschattung. Leider braucht ein Baum mindestens 15 Jahre, bis er seine volle Klimawirksamkeit entfalten kann. Nebelduschen sind Sofortmaßnahmen, die während Hitzeperioden rasch Abhilfe schaffen; sie ersetzen aber freilich keinen Baum.
Frische Luft vom Stadtrand
Mit großen stadträumlichen Maßnahmen dreht man punkto Klima an den größten Schrauben. Naherholungsgebiete am Stadtrand oder Parkanlagen wirken wie natürliche Klimaanlagen, Frischluftschneisen transportieren die kühle Luft in den Stadtraum. Bestehende Raumschneisen, wie jene im Westen Wiens, die Frischluft vom Wienerwald bis in die inneren Bezirke bringt, sind daher von windbremsender Verbauung freizuhalten. Auch bei der Konzeption neuer Stadtteile spielen Windströme eine wichtige Rolle. Expert:innen modellieren daher heute bereits vor Quartiersentwicklungen, ob Baukörper richtig ausgerichtet und Bäume und grüne Infrastrukturen an den richtigen Stellen eingesetzt werden. Grundsätzlich gilt: Je größer eine Grünfläche, desto klimawirksamer ist sie. Ein mehrere Hektar umfassender Park mit hohem Grünanteil wirkt stärker als ein kleiner Beserlpark. Bei grünen Infrastrukturen kommt die Additivität zu tragen. So kann ein einzelnes Gründach nur punktuell kühlen, hingegen leisten Hunderte Gründächer innerhalb eines Grätzels einen wesentlichen Beitrag.
Apropos Gründächer: Auch Gebäudebegrünungen wird ob des Aufwands für Produktion, Pflege und Erhaltung sowie Bewässerungsbedarf immer wieder Greenwashing attestiert. Solche Aussagen sind jedoch problematisch, denn es gibt sehr unterschiedliche Methoden; Gründächer kommen bereits seit Jahrzehnten zum Einsatz. Es gibt gut erprobte Systeme, die den gleichen Pflegeaufwand haben wie andere Pflanzen. Im Klimawandel spielen Gründächer eine enorm wichtige Rolle, auch was die Speicherung von Regenwasser und die Nutzbarmachung von Flächenressourcen für Menschen und Tiere betrifft. Mittlerweile sind sogar Solaranlagen mit Gründächern kombinierbar. Das führt zu einer enormen Effizienzsteigerung von bislang ungenutzten Dachflächen. Fassadenbegrünungen hingegen bedürfen einer genaueren Betrachtung. Hier unterscheidet man bodengebundene von fassadenintegrierten Systemen. Ranker, deren Fuß im natürlichen Boden steht, und die an Fassaden oder Gerüsten wachsen, sind ebenso nachhaltig wie andere Bepflanzungen auch. Methoden, die Vegetation in fassadenintegrierten Trögen oder Matten an das Gebäude bringen, sind jedoch hinsichtlich ihrer Ökokreisläufe instabiler. Die Pflanze würde in dieser Üppigkeit von allein wohl kaum an oder in der Fassade wachsen, daher ist der Aufwand punkto Herstellung und Pflege hoch. Gerät eine Komponente, etwa die Bewässerung, ins Ungleichgewicht, kommt es zu Ausfällen.
Keine Frage des Entweder-oder
Je natürlicher und selbstversorgender Ökosysteme funktionieren, desto besser ist die Klimabilanz. Ein umfassendes Impact Assessment bezieht nicht nur die positiven Effekte der Bepflanzung ein, sie stellt diese dem Aufwand der Herstellung, Pflege und Erhaltung gegenüber. In dieser Rechnung schlagen herkömmliche Grünräume jede hoch technisierte grüne Infrastruktur – noch, denn die Forschung läuft auf Hochtouren, vielversprechende technische Lösungen entstehen. Und das ist gut so, denn wir werden sie brauchen.
Die Debatte um Greenwashing von Begrünungsmaßnahmen führt dabei oft auf die falsche Fährte, denn schließlich ist es längst keine Frage des Entweder-oder mehr. Städte zu begrünen, was das Zeug hält, das ist das Gebot der Stunde – besonders vor dem Hintergrund, dass Pflanzen längst nicht nur Kühlfunktionen erfüllen. Die soziale Komponente, aber auch der Artenschutz sind zumindest gleichbedeutend.
Gut investiert
Bedenkt man, dass nicht nur die Herstellungskosten der notwendigen Begrünungsmaßnahmen, sondern auch die höheren Pflege- und Erhaltungskosten gedeckt werden müssen, fragt man sich, wie die knappen Haushaltsbudgets der Kommunen das finanzieren sollen. Die Frage scheint auch politisch noch nicht gelöst. Von Seiten der Wissenschaft gibt es dazu eine klare und plausible Aussage: Bei den Kosten für Anpassungsmaßnahmen gilt genau wie beim Klimaschutz, Nichthandeln ist immer die teuerste Variante, denn Folgekosten durch spätere Schäden sind langfristig wesentlich höher. Investitionen in Ökosystemleistungen rechnen sich im Klimawandel daher immer. Zudem werden künftig auch private Investor:innen eine größere Rolle spielen. Der „European Green Deal“ zeigt Wirkung und stößt neue Green-Finance-Systeme an. Um Kapital für klimawirksame Investitionen zu beschaffen, können etwa Green Bonds, grüne Anleihen, ausgegeben werden. Was als klimawirksam gilt, legt die EU-Taxonomie fest. Dass diese Bewertung nicht immer friktionsfrei abläuft, zeigt die Fehlentscheidung, Energie aus Atomkraft und Erdgas als „grün“ einzustufen. Vor diesem Hintergrund scheint die Debatte um ein mögliches Greenwashing einzelner Begrünungsmaßnahmen geradezu lächerlich.