Ohne es zu beabsichtigen, wurde das niederösterreichische Lanzenkirchen durch eine Ortskernentwicklung zur Pioniergemeinde in Sachen Klimafitness. Der Grund waren Verzögerungen, die das Bewusstsein für Klimawandelanpassung gestärkt haben. Presseartikel von Stephanie Drlik in Die Presse > Spectrum > Architektur & Design (23.05.2023)
Es ist eine traurige Entwicklung, von der viele Gemeinden bereits seit Jahrzehnten betroffen sind, dem Sterben der Ortskerne. Zeitweise scheint das Problem in der öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund zu rücken. Doch mit der gestiegenen Aufmerksamkeit für Klimathemen, erfährt auch die Aufgabe der Ortskernbelebung wieder mehr Beachtung. Der Zusammenhang liegt auf der Hand. Der sogenannte Donut Effekt tritt in Städten und Gemeinden dann ein, wenn sich die Funktionen der täglichen Versorgung vom Ortskern an die Peripherie und das Wohnen aus dem Zentrum in Einfamilienhaussiedlungen an den Stadtrand verlagern. Diese Entwicklung hat einen enormen Flächenfraß und ein erhöhtes Verkehrsaufkommen zur Folge – beides extrem klimaschädlich. Nun kommt seit einigen Jahren ein weiterer klimarelevanter Aspekt hinzu, die Klimawandelanpassung.
Wenn Gemeinden Maßnahmen zur Aufwertung der Ortskerne setzen, geschieht dies in den allermeisten Fällen, um diese wirtschaftlich zu beleben. Man möchte Geschäfte und soziales Leben zurück in die Zentren bringen, wofür es eine entsprechend funktionale und ansprechende Gestaltung braucht. „Um aber nachhaltige Aufenthaltsqualitäten zu schaffen, muss auch die Anpassung an den Klimawandel berücksichtigt werden“, erklärt Pia Knappitsch, Geschäftsführerin des 2020 ins Leben gerufenen Vereins KlimaKonkret. Schließlich ist die klimawandelbedingt steigende Hitze längst nicht mehr nur in Großstädten ein Thema, der Klimawandel ist bereits in kleineren Gemeinden deutlich spürbar. Die Gemeindepolitik ist gefordert zu handeln, doch das geht derzeit noch viel zu langsam. „Für Gemeinden ist es noch nicht die oberste Priorität, den Ortskern klimafit zu machen“, berichtet Knappitsch aus ihren Erfahrungen.
Die Aufgabe der klimagerechten Planung ist komplex, weil unterschiedliche Fachbereiche zusammengeführt werden müssen. „Für Gemeinden kann das eine Überforderung darstellen, die oftmals zum totalen Stillstand führt“, so Pia Knappitsch. KlimaKonkret hat daher einen Klimafahrplan in Form eines Faltplans für Gemeinden erarbeitet, der exemplarisch und auf anschauliche Art und Weise Maßnahmen aus den Bereichen Grün- und Freiraum, Architektur und Mobilität darstellt. Parallel bietet die Initiative Beratungsworkshops für interessierte Städte und Gemeinden an, die nicht wissen, wie und wo der Transformationsprozess in der eigenen Gemeinde gestartet werden kann. Der von Vertreter:innen unterschiedlicher planungsrelevanter Fachbereiche initiierte Verein, unterstützt ergänzend zu vorhandenen Programmen, wie etwa dem österreichweiten Anpassungsnetzwerk KLAR! oder den Klima- und Energie-Modellregionen (KEM). Denn KlimaKonkret zielt auf die Übertragung bereichsübergreifender Maßnahmen in Masterpläne ab. „Wir möchten hier eine Schnittstelle schaffen, die Gemeinden mit kompetenten Planer:innen zusammenbringt. Es gibt viele Schrauben, an denen wir zusammen drehen müssen. Nur der richtige, für jede Gemeinde individuell zu erarbeitende Maßnahmen-Mix führt zu positiven Synergieeffekten“, weiß Daniel Zimmermann, Mit-Initiator von KlimaKonkret und Inhaber des auf Klimaplanung spezialisierten Büros 3:0 Landschaftsarchitektur.
Auf die richtigen Maßnahmen hat die niederösterreichische Gemeinde Lanzenkirchen im Bezirk Wiener Neustadt-Land gesetzt. In der rund 4000 Einwohner starken Gemeinde gab es den Wunsch, mehr Leben in einen Ortskern zu bringen, den es räumlich eigentlich nicht gab. Das Gemeindeleben spielte sich entlang einer wenig einladenden Straße ab. Durch den bevorstehenden Abriss von alten Gebäuden hatte sich die Chance einer groß angelegten Neustrukturierung des Zentrums ergeben. Klimawandelanpassung war ursprünglich kein Thema.
Nach einem von 3:0 Landschaftsarchitektur erfolgreich gewonnenen Wettbewerb zur Ortskernentwicklung im Jahr 2014, ist erst einmal lange gar nichts passiert. „Es gab bürokratische Hürden, die Verzögerungen waren aber im Nachhinein betrachtet ein Glück. Denn in diesen Jahren konnten sowohl wir im Büro, als auch die Gemeinde selbst wichtige Erfahrungen in Sachen Klimawandelanpassung sammeln, die in das Projekt eingeflossen sind. Das Klimathema ist auch stärker in das Bewusstsein der Gemeinde gerückt, schließlich hatte Lanzenkirchen immer wieder mit den Folgen von Starkregenereignisse zu kämpfen“, so der Landschaftsarchitekt. Die Versiegelung im Zentrum hat nicht nur die steigenden Temperaturen befeuert, sondern bei intensiven Regenfällen auch die Abwasserinfrastruktur überlastet. Bevor der Erneuerungsprozess endgültig starten konnte, hat 3:0 daher das ursprüngliche Wettbewerbskonzept überarbeitet und in einen funktional und gestalterisch stimmigen Entwurf gegossen, der bis 2020 umgesetzt werden konnte.
Dem neu errichteten Gemeindezentrum wurde ein zentraler Platz mit attraktivem Brunnen vorgelagert. Die zur Beschattung eingebrachten Ulmen und Silberlinden wurden in Schwammstadtbauweise eingerichtet. Die klimaresistenten Baumarten haben reichlich Platz für das Entfalten ihrer Baumwurzeln und für den Rückhalt von Niederschlagswässern erhalten. Das Schwammstadtsystem für Bäume stärkt die Gehölze, die durch die großen Wurzelräume und die gute Wasserversorgung alterungsfähig und rascher klimawirksam werden. Zudem wurden versiegelte Oberflächen durch großzügig dimensionierte und üppig bepflanzte Beete ersetzt, über die auch Regenwasser in das Schwammstadtsystem eingespeist wird.
Das Zentrum von Lanzenkirchen wird heute sowohl im Alltag der Menschen als auch bei Veranstaltungen genutzt. Der vergangene Sommer hat es belegt, der neue Hauptplatz wird auch an heißen Tagen dank schattenspendender Bäume, den kühlenden Beeten und dem belebenden Brunnen gut angenommen. Und, so berichtet der Landschaftsarchitekt, seit dem Umbau haben auch schon einige Starkregenereignisse bewiesen, dass die Schwammstadt funktioniert. Auf die Frage, was aus seiner Sicht das größte Hemmnis für Gemeinden ist, meint der erfahrene Planer: „Lanzenkirchen hat Pioniergeist bewiesen und sich aus eigener Kraft für die nächsten Jahrzehnte gerüstet. Doch nicht jede Gemeinde ist für eine solch ganzheitliche Transformation wirtschaftlich ausgestattet. Hier sind umfangreichere finanzielle Hilfestellungen notwendig, damit sich auch finanzschwächere Gemeinden vorbereiten können.“ Bund und Länder sind gefordert, denn für Klimaanpassung gibt es einen enormen Finanzierungsbedarf. Studien belegen aber klar, dass die Behebung von Folgeschäden jedenfalls teurer kommen wird. Schlauer wäre also, öffentliche Gelder in Millionenhöhe künftig in die vorsorgende Aufwertung unserer Ortskerne zu investieren, als in die nachträgliche Schadensbehebung.