Landschaftsarchitektur ist eine Disziplin mit gesellschaftlichem und kulturellem Auftrag. Sie kann Stadträume organisieren und urbane Prozesse steuern. Landschaftsarchitektinnen und -architekten kommt dadurch in Stadträumen eine erhebliche soziale Verantwortung zu. Diese kann jedoch im Zeitalter des globalen und kulturellen Wandels nur dann überzeugend eingelöst werden, wenn Veränderungen als Chance für eine landschaftsarchitektonische und baukulturelle Weiterentwicklung genutzt werden.
Unsere Welt verändert sich. Das war wohl immer so, doch im globalen Wandel des 20. und 21. Jahrhunderts sind zwei Faktoren neu. Noch nie sind Veränderungen so rasch abgelaufen wie gerade und noch nie war der Einfluss des Menschen als manipulative Größe im ökologischen, sozio-kulturellen, gesellschaftlichen und ökonomischen Weltsystem derart umfangreich und irreversibel. Das macht ihn zum Hauptverursacher zahlreicher aktuell auftretender, eigendynamisch ablaufender Entwicklungen, die zum Teil bereits unabwendbar und unumkehrbar geworden sind. So wird der Mensch auch zum Betroffenen der selbstverursachten Veränderungen, die sich global auf einer abstrakten Makroebene, regional und lokal jedoch sehr real spürbar und nicht immer vorteilhaft auf unser aller Leben auswirken. Die Ursachen dieser Phänomene sind ebenso wie ihre Wirkweisen unermesslich komplex, sie stehen in engem Zusammenhang und beeinflussen sich zu einem erheblichen Teil gegenseitig.
In diesem globalen Wandel beschäftigen uns diverse Umweltveränderungen, allen voran der anthropogen verursachte Klimawandel und seine Auswirkungen. So vermerken wir etwa einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur oder die Zunahme extremer Wetterereignisse. Aber auch demographische Veränderungen stellen uns derzeit vor neue Herausforderungen. In westlichen Ländern werden sie durch innergesellschaftliche Trends verursacht, etwa Wachstums-, Schrumpfungs- oder Überalterungstendenzen, und durch einen stetig vollzogenen kulturellen Wandel. Dieser zeigt sich in hochentwickelten Ländern etwa durch neue Lebens- und Erwerbsmodelle, geänderte Wohnformen oder durch partizipative, emanzipatorische Demokratieentwicklungen. Bevölkerungsstrukturen westlicher Länder können sich jedoch auch durch humanitäre Krisen externer Gesellschaftssysteme ändern. So lösen Kriege, klimabedingte Extremsituationen oder Hungersnöte großräumliche Bevölkerungsbewegungen und Migrationsströme aus, wie wir es derzeit in Europa erleben.
Derartige soziale und ökologische Entwicklungen werden durch ein weiteres globales Phänomen beeinflusst: die stetig voranschreitende Urbanisierung der Welt. In wachsenden Stadträumen liegt besonderes Potential zur Generierung ökologischer oder sozio-demographischer Transformationen. Die Stadt wird zum Mitverursacher und Katalysator von globalen Veränderungstrends mit positiv oder negativ wahrgenommenen, regionalen, nationalen und globalen Auswirkungen. In Groß- und Megastrukturen wirken bereits minimalste Verschiebungen oftmals stark, unvorhersehbar und eigendynamisch. Doch in diesen urbanen Vorgängen ruht eine Chance: Der Mensch als Verursacher ist in einer aktiven, einflussnehmenden Position. Wie sich Veränderungstrends auswirken, ob sie Schaden anrichten oder wir sie positiv nutzen können, liegt in unserer Hand. Es hat sich gezeigt, dass gerade in den urbanisierten Lebenswelten grundsätzliche Lösungen für entwicklungsbedingte Probleme unserer Zeit zu finden sind. Lösungen zur Ursachenreduzierung ebenso wie Lösungen zur Anpassung. So birgt der jetzt noch bedrohlich einwirkende Wandel auch Chancen für grundlegende Verbesserungen des Lebens in der Stadt.
Lebensräume formen die Stadt
Unsere überwiegend urbanen Lebensräume im 21. Jahrhundert sollen also Lösungen für entwicklungsbedingte Probleme bereitstellen und so konzipiert sein, dass sie dem veränderlichen Zeitalter des globalen Wandels standhalten. Das erfordert Strategien, die den komplexen Anforderungen ebenso vielschichtige Lösungsansätze anbieten. Es gilt statische Strukturen durch anpassungsfähige, dynamische Systeme zu ersetzt. Systeme, die stabilisierend und dennoch flexibel genug sind, um mit veränderlichen Prozessen zu wachsen. Doch was kann Flexibilität und Adaptivität für den freiräumlichen Lebensraum Stadt vor dem Hintergrund des globalen Wandels bedeuten?
Lebenswerte Städte basieren auf übergeordneten Raumstrukturen, innerhalb dieser sich ökologische, soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Systeme etablieren. Im globalen Wandel kommt nun hinzu, dass diese Raumstrukturen in relativ kurzen Zeitzyklen auf spontan auftretende Trends und auf dauerhaftere Änderungen reagieren müssen. Der Lebensraum Stadt bleibt daher nur dann nachhaltig und zukunftsfähig, wenn er stabile Raumstrukturen bereitstellt, die stärker als bisher Veränderungs-, Adaptierungs- und Aneignungsprozesse ermöglichen und temporäre, provisorische Interventionen zulassen. In diesem Zusammenhang erhebt eine seit den 1990er Jahren zunehmend an Bedeutung gewinnende Bewegung die Landschaft, oder anders gesagt, den Freiraum, zur geeignetsten Dimension, um solche stabilen und dennoch flexiblen Raumgerüste zu schaffen. Die Theorien des „landscape urbanism“ erklären großräumliche, vernetzte und anschlussfähige Freiraumstrukturen zur sinnvollsten Methode, um Städte nachhaltig zu organisieren. Die Landschaft soll dabei keinen Antipol zur Stadt darstellen, ganz im Gegenteil: Nur dort wo Landschaft und Stadt eng ineinander greifen, vielleicht sogar zu neuen Hybridtypologien verschmelzen, können hochwertige Lebensräume entstehen. Die Landschaft wird zum räumlich operativen, organischen System, in dem sich urbanes Leben entwickeln und an dem die Stadt wachsen kann. Der urbane Raum wird weniger von Architektur und Infrastruktur geformt, als von ganzheitlichen Lebensräumen und den Bedürfnissen des Lebens. In diesem neuen Verständnis von Stadtplanung wird die Landschaft, der Freiraum zur neuen Dimension des Urbanismus, Landschaftsarchitektinnen und -architekten, ausgestattet mit einem Rüstzeug an neuen Praktiken, zu den Stadtplanerinnen und -planern unserer Zeit.
Hochbeetproduktion reicht nicht
Landschaftsarchitektur ist eine Disziplin mit gesellschaftlichem und kulturellem Auftrag. Sie organisiert Stadträume und steuert urbane Prozesse. Der globale und kulturelle Wandel ändert auch die Rahmenbedingungen in denen wir Freiräume planen. Die Bedürfnisse der Menschen, die bis vor einigen Jahren für die Freiraumproduktion handlungsleitend waren, haben in ihrer gewohnten Form heute keine Gültigkeit mehr. Der öffentliche Freiraum wird zunehmend zum Sozialraum, der allen Bewohnerinnen und Bewohnern zur Verfügung steht und eine wichtige Plattform des städtischen öffentlichen Lebens darstellt. Veränderungen der Umwelt, der Bevölkerungsstruktur, der Lebens-, Arbeits- und Wohnweisen müssen sich daher auch im öffentlichen Freiraum widerspiegeln. Landschaftsarchitektinnen und -architekten kommt in diesem Zusammenhang eine erhebliche Verantwortung zu, die jedoch im Zeitalter des Wandels nur dann überzeugend eingelöst werden kann, wenn Veränderungen mit einem disziplinären, ja vielleicht sogar mit einem grundlegenden baukulturellen Umdenken einhergehen. Bei Umweltveränderungen scheint die Dringlichkeit für proaktive Mitigations- und reaktive Adaptionsmaßnahmen deutlich. So haben wir auf Phänomene wie etwa den Klimaveränderungen, den städtischen Hitzeinseln oder dem exzessiven Ressourcenverbrauch bereits zahlreiche ökologische, stadträumliche und planerische Antworten gefunden. Doch wie auf den gerade stattfindenden demographischen und kulturellen Wandel freiraumplanerisch reagiert werden kann, wurde bislang nur wenig oder zu eindimensional thematisiert. Eines steht fest, der zurzeit allerorts im Einsatz befindliche Gemeinschaftsgarten mit Hochbeetproduktion kann nicht als einzige Lösung der Landschaftsarchitektur auf alle dringlichen Fragen des Wandels antworten. Wir benötigen inter- und transdisziplinäre Freiraumstrategien und visionäre Objektplanungen, um den großen Herausforderungen unserer Zeit in der Stadt gerecht zu werden. Und wir brauchen Auftraggeber und Auftraggeberinnen, die solche Visionen fördern und finanziell ermöglichen.
Die veränderliche Situation im Umbruch macht die Flexibilität zur nachhaltigen Planungskomponente. Flexibilität kann in einem stabilen, übergeordneten Freiraumsystem durch das Schaffen von Möglichkeitsräumen entstehen. Diese produzieren keine festgeschriebenen Bilder, sondern lassen, je nach Erfordernis, Lebens- und Nutzungsvielfalt durch Anpassbarkeit und Aneignungsspielraum zu. Das urbane Freiraumsystem wird so zum Raum für Vorhersehbares, ebenso wie für Unvorhersehbares. Dafür müssen wir uns jedoch von oktroyierten Normen und Regeln sowie von dem Bild der urbanen Landschaft als romantisches, rural anmutendes Idealbild einer ungestörten Natur verabschieden. Die Landschaft der Stadt wird zum hybriden Freiraumsystem, das nicht unweigerlich grün sein muss. Neuartige Raumtypologien mit überarbeiteten Öffentlichkeitssphären ergänzen traditionelle und etablierte Formen und schaffen vielschichtige, widerstandsfähige Lebensräume.
Die baukulturelle Kraft einer Zukunftsdisziplin
Die Entwicklung solch hybrider Freiraumsysteme verlangt selbstverständlich nach einer umfassenden, ganzheitlichen Herangehensweise, da unüberschaubar komplexe Aspekte und Wirkweisen mitgedacht werden müssen. Kooperativ, interdisziplinär und beteiligend arbeitende Kollektive sollten Prozesse langfristig begleiten: Von der stadträumlichen Konzeption, über die objektplanerische Entwicklung bis weit über die Produktionsphase hinaus. Schon jetzt nehmen Landschaftsarchitektinnen und -architekten in disziplinübergreifenden und bürgerbeteiligenden Prozessen eine Vorreiterrolle ein. Diese Kompetenz gilt es auszubauen. Die Landschaftsarchitektur, ein vergleichsweise junges Fach, war lange Zeit damit beschäftigt sich zu finden, Theorie und Praxis zu entwickeln und sich erfolgreich zu etablieren. Gerade jetzt, im Umbruch, besteht enormer Bedarf für die planende und gestaltende, interdisziplinäre, ökologische und soziale Kompetenz dieser naturwissenschaftlich-technischen Zukunftsdisziplin. Zur Schaffung hochwertiger, urbaner Lebensräume sollten die Veränderungen als Chance für eine disziplinäre Weiterentwicklung genutzt werden. Der Freiraum einer Stadt ist das Ergebnis kultureller Produktion, Ausdruck einer gesellschaftlichen Haltung. Im globalen und kulturellen Wandel, da der Mensch zur bestimmenden Kraft geworden ist, sollte die Landschaftsarchitektur ihre kulturelle Verantwortung wahrnehmen und im Sinne der urbanen Nachhaltigkeit zu einer ebenso bestimmenden Kraft im baukulturellen Geschehen Österreichs werden.
In: KONstruktiv 302_07/2016: 16-19
DRLIK_KONstruktiv302_StabileRaumgerüste_201607